Benazzi, Raffael.

*22.6.1933 Rapperswil (SG).

 

Bildhauer, Plastiker und Zeichner. Holz- und Alabasterskulptur, Bronzeplastik, Kunst am Bau und Schmuck.

 

1949–1952 Ausbildung zum Bildhauer bei Arnold D'Altri, Alfred Huber und Willy Stadler in Zürich. Seit 1952 selbständiger Bildhauer. Bekanntschaft mit dem Maler Julius Bissier, der Benazzis Mentor wird. Lässt sich 1954 in Massa Carrara, Ligurien, und in Porto Ronco (TI) nieder. Seit 1964 Atelier in San Vincenzo, Italien. 1966 unterirdische Erdplastik Bieler Loch für die 4. Schweizer Plastikausstellung Biel. 1975–76 Aufenthalt in San Francisco. Arbeitet 1975–1991 wechselweise in Italien, in den USA (New York und New Jersey) und in der Schweiz. Seither in Zürich und San Vincenzo.

1966 Hans Arp-Preis. Zahlreiche Werke im öffentlichen Raum in der Schweiz und in den USA. Einzelausstellungen: 1976 im Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen; 1977 im Chiostro di San Francesco, Sorrent; 1978 im Swiss Center, New York; 1986 im Kunsthaus Glarus; 1990 im Swiss Institute, New York; 1993 im Kunstmuseum Solothurn. 1978 vertritt er die Schweiz (mit Jean Lecoultre und Roland Hotz) an der Biennale di Venezia. 1997 Retrospektive in der Pinacoteca comunale Casa Rusca in Locarno.

 

  Werkwürdigung:

Unter seinen Lehrmeistern hat besonders Arnold D'Altri Einfluss auf Benazzi, der schon mit 18 Jahren als freischaffender Künstler seine Ideale zu verwirklichen sucht.

Er unterteilt sein bisheriges Schaffen in drei Gestaltgruppen, innerhalb derer jeweils eine unbeschränkte Bandbreite an Themen möglich ist: Mit Samen bezeichnet Benazzi die organischen, quellenden Formen, die sein gesamtes Werk begleiten. Die zweite zentrale und phasenweise weiterentwickelte Grundstruktur ist das (Seelen-)Haus, dessen erste schachtelartige Vorformen bereits 1960 auftauchen. Und als drittes oft abgewandeltes Formprinzip beschäftigt ihn der Coat, der Mantel, der Gefährdetes, Verletzliches birgt und schützt.

Am Beginn von Benazzis Entwicklung stehen in der ersten Hälfte der 50er Jahre figurative Holzskulpturen, deren formale Verhaltenheit ihnen zunehmend Charakterzüge von Torsi und Idolen verleiht. In dieser, erotische Geheimnisse umschliessenden stilisierten Gestalt ist früh schon erkennbar, dass das Prinzip der Weiblichkeit Benazzi stark beschäftigt.

Entscheidende Bedeutung erhält die Auseinandersetzung mit Constantin Brancusi und dessen eiförmigen Plastiken. Im Bewusstsein, dass, wer wissen will, was eine Form enthält, die Schale zerbrechen müsse, öffnet Benazzi im Gegensatz zu Brancusi die perfekte Eiform: Er leitet aus ihr Buchtungen ab, formt Delle und Nut aus ihr heraus. In vielfältiger Abwandlung hat er diese Eiform in Holz nachgebildet, bis sich Alabaster als der reinste Stoff angeboten hat. Die Schale wird zur spiegelnden Haut.

Die Platzverhältnisse in San Vincenzo ermöglichen Arbeiten in grösserem Format. Stämme können ihre eigenen Proportionen wahren, sie beginnen aufzuklaffen und ein verletzbares Inneres preiszugeben. Diese Formbildung findet ihre Krönung in den Coats der New Yorker Serie zwischen 1979 und 1986. Als habe sich die Rinde des Stammes zur schützenden Schale verstärkt, umhüllt sie nun Binnenformen, die ihrerseits wieder Anklänge wecken an die frühen organischen Formen der Samen.

Der zweite ganz wichtige Einschnitt ist – während des Aufenthaltes in San Francisco – der Schock der Begegnung mit der Minimal und der Concept Art. Benazzi, der mit seinem Schaffen bislang fast hymnisch die sinnliche Kreatürlichkeit gepriesen hat, sieht sich nun mit einer Intellektualität konfrontiert, die in der Reduktion des Planes bereits das ganze Werk zu versinnbildlichen verspricht. Solch provozierende Einfachheit weckt in Benazzi die Besinnung auf jenes Elementare, das selbst organischem Wuchern ein rationales Ordnungssystem unterlegt. Auf diese Weise erhält sein Hang zum Kreatürlichen eine neue Bedachtsamkeit, eine kontrollierende Kraft legt sich über seine Formen, die den Ausgleich zwischen ordnender Gedankenwelt und aufquellender Sinnlichkeit schafft.

 

  Werkhinweis:

zwei Bronzeplastiken und sieben Holzreliefs, 1969, Eiche, Zürich, Kantonsschule Rämibühl; mehrere Holzskulpturen, 1969–1970, Samba, Eiche, Eschikon-Lindau, Landwirtschaftliche Schule Strickhof; Aluminiumplastik, 1969–1973, Magglingen, Eidgenössische Turn- und Sportschule; fünf Holzreliefs, 1971, Eiche, Kreuzlingen, Seminar; drei Holzskulpturen, 1976, Samba, Zürich, Flughafen Kloten, Terminal B; grosse Holzskulptur, 1973, Eiche, Zürich, ETH Hönggerberg; drei Bronzeplastiken, 1982–83, Ermatingen, UBS Ausbildungszentrum Wolfsberg; Venus, 1986, Eiche, Glarus, Bahnhofbuffet; Brunnenskulptur, 1992, Granit, Glattbrugg, Textil- und Modezentrum.

 

  Literatur:

Raffael Benazzi. Locarno, Pinacoteca comunale Casa Rusca, 1997. [Testi:] Hans Baumann, Alberto Bolliger. Milano : Skira, 1997

Skulpturenausstellung. Dielsdorf, Gelände von Schule & Heim für cerebral Behinderte, 1995. Ausstellung: Alice Metzler. Zürich, 1995

Die Sammlung Glarner Kunstverein. Konzept: Annette Schindler; Hrsg.: Glarner Kunstverein. Glarus, 1995

Willy Rotzler: Aus dem Tag in die Zeit. Texte zur modernen Kunst. Postskriptum: Stanislaus von Moos. Zürich: Offizin, 1994

Tobia Bezzola: «Raffael Benazzi. Die Liebkosungen einer Pranke». In: Turicum, 24, Juni/Juli 1993. S. 66-75

Arbeitsgemeinschaft Zürcher Bildhauer im Gaswerk Schlieren. [Texte:] Hans Renggli, Ursina Jakob. Zürich: Teamart, 1993

Raffael Benazzi. New Jersey Wood. Holzskulpturen 1988 bis 1992. Kunstmuseum Solothurn, 1993. [Text:] André Kamber. Solothurn, 1993

IV Esposizione nazionale di scultura all'aperto. Vira Gambarogno 1990. [Testi:] Peter Killer [et al.]

Passagen. Skulptur in Bad Ragaz. Bad Ragaz, Thermalbäder und Grand-Hotels, 1990. [Texte:] Willy Rotzler [et al.]. Zürich: Offizin, 1990

Museum zu Allerheiligen Schaffhausen. Katalog der Gemälde und Skulpturen. [Texte:] Felix Schwank, Max Freivogel, Tina Grütter [et al.]. Schaffhausen, 1989 (Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft. Kataloge Schweizer Museen und Sammlungen 13)

Willy Rotzler: Raffael Benazzi. Zürich: Ex Libris, 1986

Rolf Lambrigger: Zürich. Zeitgenössische Kunstwerke im Freien. Geleitwort: Thomas Wagner; Vorwort: Sigmund Widmer; Einleitung: Rolf Lambrigger. Zürich: Orell Füssli, 1985

Richard H. Pichler: Swiss Artists in New York. Volume 1. Adligenswil: Ringier, 1985

Vom Stamm zur Figur. [Dokumentarfilm]. Regie: Roland Huber. 1984

Raffael Benazzi. Schmuck und Kleinplastiken. Text: Peter Zeindler. Buchs-Zürich: Waser, 1983

Schweizer Bildhauer, Plastiker und Objektkünstler. Eine Dokumentation mit Fotografien, Zeichnungen, Grafik und erklärenden Texten. [Hrsg.:] Schweizerischer Bankverein; [Vorwort:] Herbert E. Stüssi; Konzeption, Texte: John Matheson. Buchs-Zürich: Waser, 1983

Raffael Benazzi. [Texte:] Willy Rotzler, Hans Baumann, Peter Bichsel. [Zürich]: Ex Libris/Kunstkreis, 1981

Das Schubladenmuseum von Herbert Distel. Le Musée en Tiroirs par Herbert Distel. The Museum of Drawers by Herbert Distel. Katalog des kleinsten Museums für moderne Kunst im 20. Jahrhundert mit Werken von über 500 Künstler im Kunsthaus Zürich. New York, Cooper Hewitt Museum, 1978. Vorwort: Peter Killer. Zürich: Kunsthaus, 1978

Raffael Benazzi. Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen, 1976. [Texte:] Max Freivogel, Willy Rotzler. Schaffhausen, 1976

Tell 73. [Zürich, Helmhaus; Basel, Kunsthalle; Bern, Kunsthalle; Lugano, Villa Malpensata; Winterthur, Kunstmuseum; Genève, Musée Rath, 1973]. Text und Redaktion: Peter Killer. Spiegel-Bern: DG&R-Edition, 1973

Erika Billeter, Emanuel Schilling: Schweizer Künstler von heute. Schweizer Fernsehen DRS, 1971

RaBe 68. Zürich: Condor Film, 1968

Willy Rotzler: «Der Bildhauer Raffael Benazzi». In: Du, 27, 1967, 319. S. 670-679

Manuel Gasser: «Die dunkeln Pferde. Schweizer Künstler unter fünfunddreissig Jahren». In: Du, 19, August 1959, S. 9-41

Marcel Joray: La sculpture moderne en Suisse. Schweizer Plastik der Gegenwart. [Edition originale:] Neuchâtel: Editions du Griffon, 1955-1988. [Edition allemande:] Neuenburg: Editions du Griffon, 1955-1989. 4 vol./4 Bde

 

  Lexika:

AKL, Bénézit, KLS, KVS, LzSK

 

  Schlagwörter:

Bronzeplastik, Eisenplastik, Holzskulptur, Plastik, Schmuck, Skulptur, Steinskulptur, Zeichnung

 

Peter K. Wehrli

 

 

AKL Allgemeines Künstler-Lexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. München, Leipzig: Saur, 1992 ff. [nicht abgeschlossen, deshalb nur unvollständig nachgewiesen]

Bénézit Dictionnaire critique et documentaire des peintres, sculpteurs, dessinateurs et graveurs de tous les temps et de tous les pays. Par un groupe d'ecrivains spécialistes français et étrangers. Nouvelle édition entièrement refondue, revue et corrigée sous la direction des héritiers de Emmanuel Bénézit. Paris: Gründ, 1976. 10 volumes. [Editions précédentes: 1911-1924; 1948-1955]

KLS Künstlerlexikon der Schweiz. XX. Jahrhundert. Redaktion: Eduard Plüss, Hans Christoph von Tavel; Verein zur Herausgabe des schweizerischen Künstler-Lexikons. Frauenfeld: Huber, 1958-1967. 2 Bände

KVS Künstlerverzeichnis der Schweiz, unter Einschluss des Fürstentums Liechtenstein. Répertoire des artistes suisses, la Principauté du Liechtenstein inclus. Dizionario degli artisti svizzeri, incluso il Principato di Liechtenstein. 1980-1990. Herausgeber: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich und Lausanne. Leitung: Karl Jost. Frauenfeld: Huber, 1991

LzSK Lexikon der zeitgenössischen Schweizer Künstler. Dictionnaire des artistes suisses contemporains. Catalogo degli artisti svizzeri contemporanei. [Herausgeber:] Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft. Leitung: Hans-Jörg Heusser. Frauenfeld: Huber, 1981

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